Der Sensible Fokus*. Ein Appell.

Ein Buch-Espresso

Publiziert: 12. Oktober 2014       Letztes Update: 1. Dezember 2014

Dies ist ein Buch. Ein Espresso von einem Buch. Komprimiert auf die Länge dieser einen Seite. Warum nicht. Auch im richtigen Leben genieße ich gerne einen Espresso.

Mein Motiv: Ich möchte, dass der Sensible Fokus jetzt wirksam wird und nicht erst in ein paar Jahren. Ich möchte, dass dem unten beschriebenem Kind, wenn möglich, heute geholfen wird.

Spannend wäre die Kooperation mit einem Medienhaus, mit der Entwicklung besonderer Artikel oder Sendungen, mit sensibler Beobachtung der Erfahrungen, schließlich zusammengefasst in einem Buch aus vielen Blickwinkeln. Davon könnten, denke ich, alle profitieren.


Buslinie 38A, Grinzinger Straße in Wien, 7:30 früh. Ich stehe im Bus neben dem Fahrer und blicke nach hinten. Ein Menschentraube drängt beim hinteren Eingang in den Bus. Die wenigen in den Gängen Stehenden bewegen sich kaum, bei der Türe aber staut es sich, dort steht man "gerammelt voll". Für ein etwa 10-jähriges Mädchen, das nicht drängeln kann, wird kein Platz gemacht. Niemand hilft ihm, es bleibt allein auf der Haltestelle zurück.

Auch Medien handeln so.

Nicht immer, aber zu oft.

Ohne böse Absicht, aber mit dramatischen Folgen.

Der Appell: suchen Sie den Sensiblen Fokus.


  • Ist er im Bericht enthalten?
  • Wird klar, wo das Problem am größten ist? Und was man tun könnte - falls man etwas tun kann?
  • Sind bei einem Thema auch der Blickwinkel und die Erlebnisweise der Betroffenen enthalten?
  • Wurden jene Darstellungsformen vermieden, die diesen Menschen schaden können?
Sensibler Fokus bedeutet die Gegenprobe machen.

Bei Berichten ohne Sensiblen Fokus kann es passieren, dass sich alle wohl und gut aufgehoben fühlen, nur genau die nicht, um die es geht: die im Brennpunkt eines sensiblen Themas stehen.

Bei Berichten ohne Sensiblen Fokus kann die Leserschaft, letztlich die Allgemeinheit, sehr leicht falsche Schlüsse ziehen. Es kommt zur Meinungsbildung und zu individuellen Lebensentscheidungen - auf ungenügender und in vielen (gerade in dramatischen) Fällen sogar falscher Basis. Meistens sind Minderheiten vom Sensiblen Fokus betroffen: wie in der Drogenproblematik, bei psychiatrischen Problemen, bei Süchten.

In Bildung und Schule aber betrifft es uns alle.

Sensibler Fokus Praxistest: wird ein "neues" Schulsystem in jenem Bereich, der am meisten schmerzt, etwas ändern? Nein - steht zu befürchten, man lese die prominenten Warnungen. Und bei den PISA-Ergebnissen? Nur zum Teil, fürchte ich, ohne Beachtung des Sensiblen Fokus.

Ein Beispiel.
Wenn irgendwo im Land ein sechsjähriges Kind täglich in eine Lernumgebung geht, in der es sich nicht wohlfühlt, weil diese seiner Situation nicht entspricht, müsste sofort - allein schon für dieses eine Kind - eine Krisensitzung einberufen werden. Doch was geschieht?

Die Diskussion geht weiter, wie das "gesamte Schulsystem" geändert werden muss. Die echten Problemzonen sind nicht Thema.

Das Kind, das JETZT Hilfe benötigt, erhält sie nicht. Niemand blickt "durch seine Augen". Die Ressourcen stünden zur Verfügung. Es bräuchte nur eine Entscheidung. Seine Situation müsste Richtschnur sein, sein Wohlergehen. Diese Stimme gibt es nicht. Kein "Wir lassen niemand zurück!" ist zu hören. Seit Jahrzehnten gibt es offenbar etwa zwölf Prozent "Zurückgelassene", die kaum eine Chance auf eine Arbeitsstelle haben.

Wie viele solche Kinder gibt es im Land? Tausende, scheint es.

Sensibler Fokus: Praxisbeispiel Schule
Vor 30 Jahren informierte ein Volksschuldirektor seine vorgesetzte Behörde, das etwa jedes siebente Kind, das die Volksschule verlässt, nicht gut genug lesen und schreiben kann. Sensibler Fokus hätte bedeutet, sich dieses Phänomen genau anzuschauen (auch in den Medien) und eine Diagnose zu erstellen, um es zu sanieren.

Menschen im Bildungsbereich, die ihre Berufung ernst nehmen, müssten sich um diese Kinder kümmern, der Diagnose müsste eine Lösung des Problems folgen: Wo ist die richtige Schule für dieses Kind? Der Erfolg müsste in Monatsintervallen kontrolliert werden.

Gibt es tatsächlich "Gettoklassen" in Österreich? Wenn ja, warum schauen wir dann nicht genau hin? Jedes Kind hat Anspruch auf eine vollwertige Schule, ganz gleich in welcher Konstellation. Professionelle Mitarbeiter im Bildungsbereich sind dafür verantwortlich, umso mehr, je höher ihre Postition. Eine einzelne Lehrerin in einer Volksschule kann das Problem nicht lösen. Wo bleibt hier die Gewerkschaft?

In den Medien wird das Thema "Rückstellung für ein Jahr" immer wieder mit viel Emotion abgehandelt, etwa wenn es bei der Sprache noch fehlt. Dass man die Rückstellung um ein Jahr eine Schrecklichkeit wäre, die man "jemand nicht antun könne".

Es schmerzt, so etwas zu hören. Denn daran stimmt - nichts! Und wenn es irgendwo im Land eine Situation gibt, wo es doch stimmt, müsste die Behörde sofort Maßnahmen ergreifen, die dieses Szenario bereinigen.

Jene Klasse ist gut, in der das Kind sich wohlfühlt, weil es spürt, dass es vorankommt und alle anderen sich auch wohlfühlen. Ein Jahr auf oder ab spielt bei einer Lebenserwartung von 90 Jahren keine Rolle. Eher haben die Eltern, die das Beste für ihr Kind wollen und fehlinformiert wurden, damit ein Problem. Es ist ihnen vielleicht nicht bewusst, dass nichts wichtiger ist als das echte Erfolgserlebnis: eine sinnvolle Aufgabe - und (so fühlt das Kind:) ich kann sie lösen! Wenn ein Kind sich gut entfalten kann, dann sollte es nicht zurückgestellt werden. Wenn der Rückstand aber nicht oder nur mit zu großen Mühen aufholbar ist, schon. Das ist keine Strafe, sondern ein Geschenk: das Kind kommt in die Klasse, in der es sich am besten entwickeln kann.

Modulare Systeme, bei denen nicht das Schuljahr, sondern nur ein Teil nachgeholt wird, können eine gute neue Lösung sein. Man sollte nur nicht die Augen davor verschließen, dass manche Kinder einfach länger brauchen - und das hat gar nichts mit einem späteren Erfolg oder Nichterfolg zu tun. So wie es Menschen gibt, die als Kleinkinder sehr schwach waren, und später zu besonders starken und erfolgreichen Menschen wurden.

Es geht uns gut?

Wie lange noch wird es uns gut gehen, wenn wir uns nicht kümmern um jene, die JETZT Hilfe für ihr Leben brauchen? Wenn uns schon die Nächstenliebe nicht motiviert (die Grund genug wäre): betrachten wir die Schauplätze weltweit, wo herangewachsene Zurückgelassene ihre Wut in größerer Zahl zum Ausdruck bringen.

(Wird fortgesetzt.)

Sensibler Fokus - Meta-Berichte mit gleicher Zielrichtung:

Der Standard: Suizid- und Geschlechterrollen-Berichterstattung verzerrt die Realitaet
Nachzulesen Online-Standard
Zitat: Elf Tageszeitungen untersucht - das Fazit der Studie: Suizidrisiko ließe sich durch veränderte Berichterstattung senken.
(...)
Das Suizidrisiko ließe sich dadurch reduzieren, so die Expertin. Journalisten sollten deshalb auf eine möglichst korrekte Darstellung von Suizidalität achten und nicht auf stereotype Darstellungen von Männern und Frauen zurückgreifen." Zitat Ende.

(Wird fortgesetzt.)

Sensibler Fokus - Beste Beispiele:

Ö1 Hörbilder: Das traurige Spiel um das kleine Glück. Sieben Szenen aus dem Einflusskreis eines Automaten. Feature von Franziska Dorau
Samstag, 11. Oktober 2014, 09:05
oe1.orf.at/programm/384887

Mein Kommentar: Eines der besten Features (unter den vielen sehr guten), das ich gehört habe. Wegen der Genauigkeit und Würde, mit der Menschen ihr Schicksal erzählen und dem hohen Neuigkeitswert. Nie konnte ich mir vorstellen, warum sich jemand vor einen Spielautomaten setzt und dort eine Menge Geld verspielt. Jetzt kann ich es. Menschen mit Spielsucht haben mir Einblick gewährt. Auch Angehörige und Leute, die sich mit Heilung von der Spielsucht beschäftigen.

Achtung! Schlagzeilen können Menschenleben gefährden!
Sybille Hamann in Die Presse "Quergeschrieben", 29. Oktober 2014
und auf diepresse.com Achtung! Schlagzeilen ...

Mein Kommentar: es hat immer wieder fahrlässigen Umgang mit persönlichen Daten von Menschen gegeben, die irgendwie in die Medien kamen. Falsche Fotos, Vorverurteilungen, Datenlecks. Hier versetzt sich (und uns) die Autorin in die Lage der sogenannten Jihad-Mädchen, wenn bestimmte Medien anderswo gelesen und ernst genommen werden sollten.

(Wird fortgesetzt.)

Sensibler Fokus - Fazit:

Der Sensible Fokus kann in manchen Bereichen zu - jetzt nicht vorhandenen - Artikeln und Sendungen führen, die der Diskussion (fallweise auch der Auflage) Flügel verleihen würden, besonders jener zum Schulsystem und seinen Problemzonen.



*© Rudolf Schwarz 12. 10. 2014

Wie es zur Sicht-Weise "Der Sensible Fokus" kam.

Primarius Dr. Günther Pernhaupt, mit dem ich vor 30 Jahren einen Film namens "Bedrohung Droge" für das Gesundheitsministerium gestaltete, hat auf einen Zusammenhang aufmerksam gemacht, was zur Änderung der Aufklärungsarbeit in Österreich führte. Er zeigte eine Hochglanzbroschüre im Format A5, etwa 20 Seiten stark, auf der die gängigen Drogen gezeigt und mit aufwendiger Optik erklärt wurden.

Er sagte: "Die Information, die den nicht gefährdeten Menschen interessante Inhalte bietet, ist maximal schädlich für jene, die gefährdet sind." Das war nachvollziehbar. Wir produzierten dann einen "ganz anderen" Film. Das Frösteln in der "Familie Frost/Frust" konnte unmittelbar mitgefühlt werden.

Das deutsche Magazin "Bild der Wissenschaft" berichtete über eine Doku-Serie zu einem sensiblen Thema, die "ins Auge ging".

(Wird fortgesetzt.)